Ausgehend von den Heiligen Stätten Hüter eines Geistes der Geschwisterlichkeit sein

Gespräch mit dem Kustos des Heiligen Landes, Pater Francesco Patton

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Patton, Visconti di Modrone und Heilig-Land-Kommission Pater Francesco Patton, Kustos im Heiligen Land, zusammen mit dem Generalgouverneur und zwei herausragenden Mitgliedern des Großmagisteriums.

Pater Patton, welche historischen Verbindungen vereinten die Kustodie und den Orden vom Heiligen Grab vor der Wiedereinrichtung des Lateinischen Patriarchates, und wie betrachten Sie heute die Zusammenarbeit mit den Rittern und Damen, die eine Wallfahrt ins Heilige Land unternehmen?

Die historische Verbindung mit den Rittern vom Heiligen Grab geht auf das Jahr 1474 zurück, als die Kustodie im Heiligen Land durch eine päpstliche Verfügung die Befugnis erhielt, selbst Ritter zu investieren. So wurde eine institutionelle Beziehung begründet, die sich im Lauf der Jahrhunderte durch verschiedene Formen der Zusammenarbeit entfaltete, vor allem zugunsten der Heiligen Stätten im Allgemeinen und dem Heiligen Grab im Besonderen. Der letzte Ritter, der von der Kustodie investiert wurde, war Patriarch Valerga selber im Jahr 1848. Später verstärkten sich direktere Beziehungen zwischen dem Orden und dem Lateinischen Patriarchat.

Heute sind die Beziehungen zwischen der Kustodie und den Rittern von Freundschaft und Zusammenarbeit geprägt: Jedes Mal, wenn sie ihren feierlichen Einzug ins Heilige Grab halten, besuchen sie auch Jerusalem und bitten um ein Zusammentreffen mit dem Kustos, oder sie bieten ihre Unterstützung für die Werke zugunsten der Kustodie im Heiligen Land an, insbesondere in Erinnerung an ihren Ursprung und an die Verbindung mit der Kustodie sowie für das Wohl der Christen vor Ort. 

Einige Jahrhunderte lang hat die Kustodie die pastoralen Aktivitäten der Lateinischen Kirche im Heiligen Land koordiniert. Wie haben sich die Beziehungen zwischen diesen beiden kirchlichen Institutionen nach der Wiederherstellung des Lateinischen Patriarchates im Jahr 1847 entwickelt?

Bis 1516 waren der Kustodie keine anderen Formen von Apostolat möglich, als in den Wallfahrtsstätten vertreten zu sein, das Gebet und die Liturgiefeiern zu organisieren und die Pilger an den Stätten zu empfangen und zu versorgen, deren Besitzer sie war. Nach dem Regime-Wechsel in der Region, als der Mamluk durch einen anderen ersetzt wurde, einen Ottomanen, der in bestimmter Hinsicht toleranter war, nahmen die Brüder der Kustodie eine pastorale Aktivität bei der christlichen Bevölkerung vor Ort auf. Ab 1555 fanden die ersten Eintritte in die Gemeinschaft der katholischen Kirche von Seiten nichtkatholischer Christen vor Ort statt, und folglich die Bildung der ersten „lateinischen“ Gemeinde in der Umgebung der Wallfahrtsstätten.

Diese im Lauf der Zeit zunehmende Aktivität gab dem seligen Papst Pius IX. im Jahr 1847 Gelegenheit, eine Lateinische Diözese im Heiligen Land zu schaffen, die die Form einer „Wiedereinrichtung“ oder „Wiederherstellung“ des „Lateinischen Patriarchates von Jerusalem“ annahm (der Titel eines Patriarchen existierte seit dem Konzil von Chalcedon; zur Kreuzfahrer-Zeit wurde er wieder aufgenommen und überlebte deren Niederlage in Europa nur unter dem Bischofstitel „In partibus infidelium“. 1847 wurde er wieder in seinen Sitz eingeführt.)

1627 betrachtete die Kongregation Propaganda Fide die Kustodie des Heiligen Landes als eine echte Mission in partibus infidelium und erklärte, dass sie direkt ihrer Rechtsprechung unterworfen sei. Sie erkannte den Minderbrüdern ihre Gemeinderechte an allen Orten zu, an denen diese Konvente oder Hospize gegründet hatten. Die Schaffung der neuen katholischen Gebietsunterteilungen – insbesondere die des Lateinischen Ritus – auf dem Missionsgebiet der Kustodie erzeugte am Anfang einige Unsicherheiten, was die genaue Beziehung zwischen den jeweiligen Rechtsprechungen anging. Dieser Beziehung waren verschiedene aufeinander folgende Maßnahmen des Heiligen Stuhles gewidmet.

Derzeit können diese Fragen als geklärt betrachtet werden: In dem Apostolat bei den Gläubigen vor Ort verstehen sich die Brüder der Kustodie als im Dienst der Einzelkirchen stehend, und zwar als Ordensleute, die das Apostolat an allen Orten dieses katholischen Gebietes ausüben, wohingegen die Leitungsbefugnis der Kustodie an den Heiligen Stätten, welche sie bewahrt und an denen sie im Namen der ganzen katholischen Welt wirkt, nach wie vor notwendigerweise der ihr eigene und ursprüngliche Auftrag bleibt. Noch heute leitet die Kustodie die pastoralen Aktivitäten in 29 Gemeinden und in zahlreichen Kirchen, Kapellen und Filialkirchen, obwohl mit der Schaffung von Einzelkirchen an vielen Orten die Gemeindepastoral aufgrund des allgemein gültigen kanonischen Rechtes der Regierung des Ortsordinarius unterstellt ist – wie es bei allen Gemeinden der Fall ist, die Ordensleuten anvertraut sind.

Heute, nach 170 Jahren Erfahrung und Reifung können wir sagen, dass unsere Beziehungen in einem Geist großer Achtung vor der jeweiligen Leitungsbefugnis und der gegenseitigen Zusammenarbeit, vor allem im Bereich der Pastoral geknüpft werden.


Sie haben Msgr. Pierbattista Pizzaballa kennengelernt als er Novize in La Verna war. Was für eine Beziehung haben sie jetzt, da er Apostolischer Administrator des Lateinischen Patriarchates von Jerusalem geworden ist? Bietet Ihnen Ihre gemeinsame Liebe zum heiligen Franz von Assisi eine gemeinsame pastorale Linie? Wenn ja, in welcher Hinsicht?

Die Beziehung mit Msgr. Pierbattista war brüderlich als er Kustos im Heiligen Land war, und sie ist jetzt, da er Apostolischer Administrator des Lateinischen Patriarchates von Jerusalem ist, weiterhin sehr brüderlich. Es gibt zahlreiche Bereiche, in denen es ausgesprochen wichtig ist, eine enge Zusammenarbeit zu bewahren, zum Beispiel auf dem Gebiet der Gemeindepastoral, der Schulen, des Empfangs und der Integrierung der katholischen Wanderarbeiter, aber auch auf dem Gebiet der Zusammenarbeit mit den anderen, hier vertretenen christlichen Gemeinden und der Beziehungen mit den Zivilbehörden. Unsere gemeinsamen franziskanischen Wurzeln ermutigen uns, die Methode des Dialogs und der Aufmerksamkeit für konkrete Personen und ihre Bedürfnisse, insbesondere für die Armen und Leidenden immer stärker zu pflegen.

Natürlich gibt es offizielle Gelegenheiten zum Dialog, zum Beispiel wenn wir uns bei Treffen der Konferenz der katholischen Ordinarien des Heiligen Landes treffen, die informelle Gelegenheiten darstellen. Zum Beispiel war er kürzlich am Fest des heiligen Franziskus unser Gast. Und es gibt auch Gelegenheiten zu persönlichen Treffen, insbesondere wenn wir gemeinsam konkrete und besondere Fragen ansprechen.


Welche pastoralen Prioritäten haben Ihre Mitbrüder gemeinsam im Heiligen Land anzugehen, vor allem was den Dialog mit den muslimischen und jüdischen Gläubigen angeht?

Nach dem Willen des Heiligen Stuhles besteht unser Hauptauftrag als Brüder des Heiligen Landes darin, die Heiligen Stätten zu schützen und sie den Pilgern zugänglich zu machen. Folglich haben wir genau diese Priorität, uns um die Wallfahrtsstätten und den Empfang dort zu kümmern als Orte, an denen wir leben, beten und unseren Glauben vertiefen. Dann gibt es auch eine pastorale Dringlichkeit, die mit den Gemeinden speziell in Israel, Palästina, Syrien, Zypern und Rhodos zusammenhängt, anders gesagt mit der Begleitung der Christen vor Ort und derer, die auf der Suche nach Arbeit hierher kommen. In diesem Fall besteht die Priorität darin, eine immer universellere und einladendere Erfahrung von Kirche zu schaffen, die fähig ist, jene zu integrieren, die hier leben und die hier ankommen. Es gibt auch noch eine weitere pastorale Priorität, die mit der Situation verbunden ist, die unsere christlichen Brüder derzeit in Syrien leben. Es ist eine Notwendigkeit, auf einer ganz konkreten Ebene daran zu arbeiten, die Bevölkerung zu unterstützen, die von vielen Jahren Krieg schwer mitgenommen ist. Es ist jedoch noch viel notwendiger, die Hoffnung lebendig zu erhalten, die kleine christliche Gemeinde vor Ort neu zu beleben und ihr zu helfen, in einer Perspektive der Versöhnung in die Zukunft zu blicken.

Was den Dialog mit den Juden und Muslimen im Alltag angeht, so sind die Beziehungen eher gut. Es gibt Sonderkommissionen, die zum Ziel haben, den Dialog zu fördern, und die auch Initiativen verschiedener Art organisieren. Auch innerhalb der Kustodie arbeiten zusätzlich zu den Christen jüdische und muslimische Fachleute, unsere Schulen werden von Schülern verschiedener Konfessionen besucht und die Mehrzahl der Schüler sind Muslime.

Dieses Jahr hatte ich selbst Gelegenheit, innerhalb weniger Monate an einem Treffen über das Thema Ökologie zunächst mit einem jüdischen Rabbi und dann mit einem muslimischen Juristen zusammenzukommen. Auf unserem Programm steht die Einladung der Verantwortlichen der muslimischen Gemeinde vor Ort zu einem festlichen Abendessen am Ende des Ramadan in der Wallfahrtsstätte Bethanien, sowie die Organisation eines Vortrags in unserer Wallfahrtsstätte in Ain Karem über die Gestalt von Johannes dem Täufer, um zusammenzukommen und ein Gespräch zwischen Juden und Christen zu führen, und schließlich ein Vortrag in unserer Wallfahrtsstätte auf dem Berg Nebo über Mose im Judentum, im Christentum und im Islam. Es gibt ständig Gelegenheiten – wichtig ist, dass wir sie zu ergreifen wissen und vermeiden, dass sie in irgendeiner Form instrumentalisiert werden.

Auf jeden Fall findet das Treffen unter dem Gesichtspunkt des Lebens und der persönlichen Beziehungen statt und erst in zweiter Linie unter dem Gesichtspunkt der Kommissionen und der spezifischen Themen. Ich persönlich glaube, dass unsere Schulen im Heiligen Land die bedeutendste Gelegenheit zum Dialog mit der muslimischen Welt darstellen, während der Dialog mit der jüdischen Welt im Bereich der Kultur stattfindet. Mit beiden geht es darum zu versuchen, bei Initiativen sozialer und karitativer Art zusammenzuarbeiten.


Ihre Kommunikationsaktivität gliedert sich in verschiedene sehr wirkungsvolle Mittel. Wie schätzen Sie deren Auswirkungen in der heutigen Welt ein?

Die Kommunikationsmittel heute sind notwendig, um unsere Wirklichkeit bekannt zu machen. Mein Wunsch ist es, dass sie im wörtlichen Sinn Werkzeuge der Evangelisierung werden, das heißt, dass sie fähig sind, das Gute und die Normalität zu berichten, anstatt über das Böse und das Außerordentliche zu sprechen. Unsere Kommunikation ist nicht auf der Suche nach einem Knüller und will genauso wenig spektakulär und sensationell sein. Im Gegenteil, wir möchten über dieses Heilige Land, seine Stätten und die Personen berichten, die dort wohnen. Um ein chinesisches Sprichwort zu paraphrasieren: Wir möchten nicht über den Baum sprechen, der gefällt wird, sondern über den Wald, der wächst.
 

François Vayne


(November 2017)